Millionen von Schwalben von Urs Hostettler

Exodus
Die Ur-Schwalben sind bereits 1990 entstanden, genauer: Nach dem haarsträubend gepfiffenen Viertelsfinale Deutschland - Tschechoslowakei (SR Kohl, Austria), noch getoppt von der Leistung von Herrn Codesal im Finale, den grandiosen Schwalben Tante Käthes und eines Stuttgarter Bäckerssohns samt Aussschluss zweier Argentinier und Penalty in der 86. Minute.Wie wahr sprach Bodo Illgner: "Es war leichter, hier Weltmeister zu werden, als in Köln einen Blumentopf zu gewinnen."

Unter Freunden waren die handgemachten Kopien des Spiels ein Renner. Zu diversen WMs und EMs wurden die Turniere nachgespielt, wir wurden gedrängt, die 'Schwalben' zu überarbeiten und zu produzieren. Das haben wir getan. Ein neues Wettsystem ist entstanden, Spezialkarten sind dazugekommen, welche die Teams über ihre Spielstärke hinaus charakterisieren. Einige Spitzen gegen (...) wurden gekappt. Neuville und Lehmann sind ja ganz nett, und die teutonischen Kommentatoren sind auch nicht mehr, was Fassbender/Rumenigge einst waren.


Simplicissimus
Das Spielsystem von MILLIONEN VON SCHWALBEN ist im Grunde simpel. Die Gegner würfeln abwechselnd. Wer eine 7 erreicht, hat ein Tor erzielt. Ein Torerfolg ist offensichtlich nur möglich, wenn der Angreifer eine Angriffskarte spielt, die sein Würfelergebnis erhöht. Nun verfügen die Mannschaften - ihrer realen Spielstärke entsprechend - über unterschiedlich viele Angriffskarten. Die Färöer, Bahrain oder Österreich sind mit ihren Offensivbemühungen bald am Ende. Brasilien oder Holland haben sehr viele Angriffsversuche zugute.

Die Teams haben auch Verteidigungskarten, mit denen sie gefährliche Angriffe unterbinden können. Mit Fouls und Abseitskarten vor dem Schussversuch (Würfeln des Angreifers); mit Torhüterkarten lässt sich eine 7 oder 8 auch nachträglich noch zu einer 6 reduzieren. Unnötig zu sagen, dass Italien und Griechenland kaum zu bezwingen sind. In derart hartnäckigen Fällen empfiehlt sich eine Schwalbe. Der Angreifer lässt sich spektakuär fallen. Am besten im Strafraum. Mit einigem Würfelglück und der gütigen Unterstützung des Schiris kommt er zu einem Elfmeter. Das ist ein Würfelversuch mit Angriffsbonus 5 - ein Tor ist wahrscheinlich.
Auf diese Weise wird eine ganze WM gespielt. Jeder Mitspieler führt mehrere Nationen. Weil nur mässig viele Karten nachgezogen werden dürfen, empfiehlt es sich, die Kräfte (Karten) der Teams zu schonen. Insbesondere Partien unter eigenen Teams werden häufig geschoben, enden ereignis- und torlos.

Quo vadis?
Wie der Titel bereits erahnen lässt, drehen sich die MILLIONEN VON SCHWALBEN um Millionen und nicht um Pokale. Gewiss: der Teamchef des Weltmeisters wird belohnt. Jede Mannschaft, welche die Gruppenphase übersteht, wird belohnt. Aber das grosse Geld kommt vom Wetten. Weil keiner gewzungen ist, auf seine eigenen Teams zu wetten, präsentieren sich einige Teams in Schlüsselspielen ausgesprochen lustlos. Argentinien oder England gehen gegen Angola sang- und klanglos unter, weil ihre Teamchefs Wetten auf Angola platziert haben.
Ein steter Unsicherheitsfaktor ist der Schiri. Ein Mitspieler. Auch er hat seine Wetten am Laufen, und er kann bei Fouls, Abseits und bei Schwalben den Gang der Dinge (die Würfelergebnisse) erheblich beeinflussen.


Satyricon
Beim wechselseitigen Ablesen der Karten ergibt sich ein lebensnaher Fussballkommentar. Nullnummern ("gibt im Mittelfeld keinen Ball verloren", "lässt sich vor der Bandenwerbung seines Sponsoren pflegen") wechseln sich ab mit Torszenen ("Torwart ist ein Fliegenfänger") und zweifelhaften Interventionen (von "...erhebt das Handwerk zur Kunst" bis "fährt die Sense aus").

Ein Dutzend Teams verfügen über Spezialkarten. So setzt Ronaldinho für Brasilien Glanzpunkte am Strafraumrand. Die Saudis schicken nach einem Gegentor den Prinzen zum Protest aufs Feld. Deutschland? Nun... eine Blutgrätsche ("hat den Ball gespielt" - kein Foul) und Klinsis hohe Schule: eine hochklassige Schwalbe, gestreckter Doppelsalto in den Strafraum hinein. Und die Schweiz? Jawohl. Auch eine Spezialkarte. Senderos' Verlängerung mit dem Kopf. Sehr gefährlich. Dafür bleibt der Torwart mitunter wie angewurzelt stehen.
Übrigens: Deutschland bringt es meist sehr weit. Nicht wegen fussballerischer Glanzleistungen. Sagen wir: aus wirtschaftliche Interessen... jeder wettet auf Deutschland. Wehe dem Schiri, der gegen die Jungs pfeift! Und auf Brasilien treffen sie frühestens im Finale.

P.S.: Zur Einstimmung liegen dem Spiel 54 Anno-Domini-Karten mit Ereignissen rund um die Fussball-Weltmeisterschaften bei.